Notengebung an Hochschulen
Beschäftigt man sich mit der Lehrbarkeit von Design im Hochschulkontext, wird man unwillkürlich auch mit der Notengebung der studentischen Leistungen, bzw. Bewertung der Lernergebnisse konfrontiert. Aus der Praxis des Lehrenden kenne ich die Bandbreite des Zuganges unter Kollegen hierzu. Diese reicht von Negierung, Selbstbenotung durch die Studierenden, bis hin zu differenzierten Methodensets. Sie verbleibt im Bezug jedoch immer im Kontext des einzelnen Faches und Lehrers, was ein Grundschisma beschreibt, sollen doch Noten eine übergreifende Vergleichbarkeit über die örtlichen- und persönlichen Bezugsgrenzen hinaus gewährleisten. Ein Problem übrigens, welches nicht nur im Design, sondern in nahezu allen Fakultäten in Deutschland anzutreffen ist. Der Wissenschaftsrat beschreibt dies anschaulich in der Einführung zum 862 Seiten starken Arbeitsbericht Prüfungsnoten an Hochschulen im Prüfungsjahr 20101.
„Die im Mittel vergebenen Noten weisen sowohl zwischen den als auch innerhalb der Fachbereiche auffällige Spreizungen auf.“
„Erhebliche Unterschiede zeigen sich auch innerhalb der Fachbereiche. Die durchschnittlich vergebenen Abschlussnoten weichen je nach Standort um mehr als einen ganzen Notenschritt voneinander ab.“
„Zur Funktion und Natur der Notengebung Prüfungsnoten erfüllen mehrere Funktionen. Sie dokumentieren und bewerten einen Leistungsstand, geben den Geprüften Rückmeldung und informieren Dritte – insbesondere Arbeitgeber und andere Hochschulen – über die Leistungsfähigkeit der Absolventinnen und Absolventen.
Erfüllt werden könnten diese Funktionen am besten mit einem sich auf gemeinsame Kriterien und Qualitätsmaßstäbe stützenden Benotungssystem, das eine klare Orientierung dafür liefert, wann beispielsweise eine Prüfungsleistung als „gut“ zu beurteilen ist. In der Praxis wird die Beurteilung einer Prüfungsleistung jedoch in einem hohen Maße von kontextualen Vergleichen bestimmt, indem z. B. die Leistungen anderer Prüfungskandidaten als Bezugspunkt verwendet werden. Die sich ergebenen Noten besitzen entsprechend nur eingeschränkte Aussagekraft über Gruppengrenzen hinaus.
Zudem orientieren sich Prüfende am Notenspiegel ihres Kollegenkreises, wodurch sich spezifische Fachkulturen herausbilden können. Auch die jeweilige Prüfungsorganisation spielt eine herausgehobene Rolle; hierzu gehören unter anderem die Zusammensetzung einer Prüfung aus Teilprüfungen — die zum Teil wie in Lehramtsstudiengängen in unterschiedlichen Fächern abgelegt werden —, die Gewichte mündlich, schriftlich oder praktisch zu erbringender Leistungen sowie die Beteiligung externer Prüferinnen und Prüfer. Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer einheitlichen Benotungspraxis in Hochschulprüfungen ausgegangen werden. Eine explizite Berücksichtigung des zeit-, orts und fachspezifischen Kontextes, in dem die Noten vergeben werden, ist erforderlich. Die Kontextabhängigkeit einer Prüfungsnote macht sie zu einer zwangsläufig fehlerbehafteten Leistungsbewertung.“
Sofort stellt sich natürlich die Frage nach dem Stellenwert einer Benotung, wenn diese im wesentlichen nur den Vergleich innerhalb einer eng gefassten Bezugsgruppe abbildet. Zumindest für den Übergang in den Arbeitsmarkt gibt es im Bezug auf die Gestaltungslehre den schwer zu widerlegenden Grundsatz, dass die Note irrelevant und die Mappe (=Persönlichkeit und in Artefakten dokumentierte Leistungsfähigkeit des Bewerbers) alles sei. Trifft dies zu, so haben wir es zumindest mit zwei konkurrierenden Bewertungssystemen zu tun: Die Hochschule vergibt Bewertungen und der Arbeitsmarkt prüft hiervon unabhängig an Hand eigener Kriterien. Sind die Noten an Hochschulen in praxi also nur ein auf den individuellen Vergleich innerhalb von Kleingruppen ausgerichtetes Instrument? Sind sie möglicherweise gar ein unhinterfragter Selbstzweck–etwas, was man erfüllt, weil „man es eben so macht“?
Auch dies ist nicht allein eine im Design anzutreffende Situation. Auf der Website Connecticum.de kann man zur Frage „Welchen Stellenwert hat die Abschlussnote im Studium eines Bewerbers (m/w) für Sie?“ die beredte Vielfalt der 142 Antworten von Personalentscheidern aller Couleur hierzu lesen2. Die klare Antwort lautet Jain. Im Schnitt aller Beiträge liest sich das in etwa so: Die Note hat einen Stellenwert insofern sie ein absolviertes Studium dokumentiert, darüber hinaus ist die mit Persönlichkeit umschriebene eigene Inaugenscheinnahme das wesentliche Kriterium. Zudem wird seitens der Personaler auch konstatiert, dass eine interinstitutionelle Vergleichbarkeit der Noten nicht gegeben sei.
Letzteres wird auch vom Wissenschaftsrat im genannten Arbeitsbericht 2010 explizit ausgeführt:
„Arbeitgebern wird empfohlen, die fach- und hochschulspezifische Benotungspraxis bei der Einschätzung einer Prüfungsnote zu berücksichtigen.“
„Es ist daher für Studierende – auch in ihrem Eigeninteresse nicht ratsam, sich bei der Hochschulwahl an den im vorliegenden Bericht aufgeführten Notendurchschnitten zu orientieren; denn tendenziell
überdurchschnittlich gute Benotungen eines Standortes erfahren ex-post auf dem Arbeitsmarkt eine Relativierung.“
Es gibt belegbar eine Tendenz zur guten Benotung, wenn etwa der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Wolfgang Marquard im November 2012 schreibt der “Trend zu besseren Noten darf so nicht weitergehen”. Der Bericht des Gremiums stelle Anzeichen für eine “Aufweichung der Bewertungsstandards” und eine “schleichende Noteninflation” fest. In den meisten Fächern werde die Notenskala kaum noch ausgeschöpft, sagte Marquardt.3 Für die Gestaltung stellt sich das dann so dar, dass von den beispielsweise im Bereich Kommunikationsdesign betrachteten 23 Studiengängen 20 einen Notendurchschnitt besser als 2,0 hatten. Die Spreizung zwischen den besten und den schlechtesten Notendurchschnitten (1,3 – 2,0) betrug bei 4.726 AbsolventInnen 0,7 Punkte.4
Das dies die Gefahr eines selbstverstärkenden Systemes birgt liegt auf der Hand. Selbst wenn man die Notenskala eingedenk einer gerechteren Bewertung unabhängig der ausstehenden Kriteriendiskussion voll ausschöpfen wollte; man tut es nicht, da die eins vor dem Komma im Design der Common Sense zu sein scheint. Schöpft man die Skala aus, benachteiligt man seine Studenten gegenüber denen anderer Einrichtungen. Im Ergebnis haben wir auschließlich sehr gute Absolventen an sehr guten Hochschulen. Oder besser gesagt nur Absolventen und Einrichtungen deren Leistungsstand nicht über die Bewertung qua Noten verglichen werden kann.
Man kann im Bezug auf die Designlehre sicherlich trefflich über den Sinn einer Notenvergabe diskutieren, allein durch den formalen Zwang über die in den Landeshochschulgesetzen verankerten Vorgaben zur Benotung stellt sich die Frage in der Praxis der Lehre erst einmal nicht. Bleibt die Frage nach deren sinnhafter Ausgestaltung.
Noten dienen gemäß des aktuellen Standes (siehe die jeweiligen Richtlinien zur Notenvergabe an Schulen und Hochschulen) der Herstellung einer Vergleichbarkeit zwischen den erbrachten Leistungen innerhalb von Vergleichsgruppen. Also innerhalb von Prüfungsgruppen, Zwischen Prüfungsgruppen und zwischen Prüfungsorganisationen etwa von Gymansium zu Gymnasium oder von Studiengang zu Studiengang. Dies ist in den Richtlinen übergreifend ausdrücklich auf die erbrachte Leistung gemünzt. Nicht einfließen sollen der grundsätzliche Leistungswille, das Leistungsvermögen oder die Anpassung des zu Bewertenden an das Bewertungssystem. Nicht zuletzt der Bologna-Prozess mit seinem European Credit Transfer System setzt auf die Noten als Instrument überinstitutioneller Vergleichbarkeit.
Soweit die Theorie. In der Praxis der Lehre hat all dies wie oben ausgeführt offensichtlich keinen, zumindest keinen nennenswerten Bestand. Also doch die Frage: warum dann überhaupt Noten geben, wenn gegenwärtig weder die Idee der abstrakten individuellen noch die der systemischen Vergleichbarkeit eingelöst wird?
Eine Diskussion zur Praxis der Notengebung ist angesichts dieser Einschätzung überfällig.
1WR Prüfungsnoten an Hochschulen im Prüfungsjahr 2010, Drs. 2627-12, Hamburg 2012, Einleitung
Arbeitsbericht “Prüfungsnoten an Hochschulen im Prüfungsjahr 2010”
2http://www.connecticum.de/tipps/abschlussnote
3http://www.zeit.de/studium/hochschule/2012-11/hochschule-bewertung-note
4WR Prüfungsnoten an Hochschulen im Prüfungsjahr 2010, Drs. 2627-12, Hamburg 2012, Abschnitt IX.3 Studienbereich Gestaltung
Sind die vielen Designwettbewerbe, insbesondere diejenigen für Absolventen, “Young Professionals”, Studierende usw., wie z.B. den bayrischen Staatspreis für Nachwuchsdesigner, dem Red Dot Young Professionals …, eine Möglichkeit den Grundlevel oder Bias einer Hochschule zu bestimmen?
Könnte man durch die Auswertung der Wettbewerbsergebnisse die Hochschulen untereinander vergleichbar machen und von dieser Nivellierung dann eine Vergleichbarkeit der Abschlussnoten Ableiten?
Nützen solche Hochschulrankings wie das iF ranking university?
Nützen sie den Hochschulen sich und ihre Notengebung zu hinterfragen?
Nützen sie den Absolventen ihre Leistungen realistischer einzuschätzen?
Nützen sie den Arbeitgebern bei der Einschätzung von Bewerbern?
Was ist von solchen Vorgaben zu halten:
Beurteilung von Gestaltungsarbeiten (an Schulen)?
Quelle: Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen des Landes BaWü
Grundsätzlich ist der Versuch einer Strukturierung begrüßenswert. Aber der Weg ist meines Erachtens für die Bewertung von Gestaltung zu schulisch gedacht. Schulisch meint von der Grundannahme einer grundsätzlich objektifizierbaren Bewertung auszugehen. Das ist unserem naturwissenschaftlich geprägtem Weltbild geschuldet, greift aber in der Bewertung von Gestaltung nicht. Gestaltung müsste dafür falsifizierbar sein. Ist sie aber nicht. Auch wenn wir gerne von guter und schlechter Gestaltung reden, wissen wir dass dies immer bezugspunktabhängig und gleichzeitig hochvarialbel ist. Gestaltung ist eine Vereinbarung, von der alle Beteiligten hoffen, dass der jeweilig andere annähernd das selbe oder wenigstens das gleiche darunter verstehen möge. Naturwissenschaft postuliert hingegen für alle gültige Gesetze. Dem Naturwissenschaftlichen Denkmodell liegt der Grundgedanken einer universellen Wahrheit zu Grunde, der man sich in Erklärmodellen solange nähert, bis man das Modell nicht weiter widerlegen kann. Jedes Modell gilt solange als wahr, solange es nicht widerlegt ist. Jedes Modell gilt solange als vollständig, solange sich damit alle Fragen so lösen lassen, dass die Ergebnisse des Modells mit den Beobachtungen der Realität übereinstimmen. Das hat einen ungemeinen Reiz, weil der subjektive Zugang zumindest gedanklich vollständig eliminierbar ist. Das bedeutet, einmal erkannt und erklärt ist es beliebig reproduzierbar. Gestaltung hingegen ist ist immer subjektiv, situativ und allenfalls nachahmbar aber nicht reproduzierbar.
Die vorgestellten Kriterien würden nur dann eine Bewertung ermöglichen, wenn sie vorab als Vorgaben an die zu erbringende Gestaltungsleistung gerichtet würden. Im Nachhinein gestellte, oder für die Gestaltenden im Gestaltungprozeß nicht transparente Kriterien können allenfalls eine allgemeine Sensibilisierung für ein Handlungsfeld (hier die Bewertung) sein. Kriterien im Sinne des Wortes sind sie erstmal nicht, da in der Gestaltung jedes von der konkreten Gestaltungsaufgabe losgelöste Kriterium augenblicklich beliebig und damit inexistent sein muss.
Zudem sehe ich die Färbung der Vorgestellten Kriterien kritisch. Dieser Gedanke von Idee/Individualität/Originalität ist aus meiner Sicht doch sehr praxisfern im klischeeverhafteten des künstlerischen Zuganges zur Gestaltung.
Eure Diskussion lässt bisher den Meta-Zusammenhang offen: Bewertung und Ranking als soziale Rahmenbedingung der Post-Demokratie und die Beziehungsmuster der KollegInnen in einem Post-demokratischen Hochschulsystem.
Das Setting beschreibt Wolfgang Lieb ganz treffend:
http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=19290
Die Frage die daraus folgt: Wie kann man Ökologien schaffen, in denen Design-typische Lernprozesse (mit Scheitern) Raum haben? Angesichts der engen Rahmenbedingungen von Designlehre (FH: 80 Studierende/Jahrgang, “Aquisezwang”, Benchmark am “Hochschulmarkt”, etc. wie Lieb beschreibt) sind die nämlich in der Logik des Settings nicht vorgesehen: Wird der Schnitt schlechter, verliert die Lehrperson ihr Renommee (hat nicht geschafft, etwas beizubringen), die Hochschule ihr Ranking, die Studierenden ihre Chancen z.B. in den Masterstudiengang an einer anderen Hochschule zu kommen. Könnte man 80 Studierende pro Jahrgang so bewerten, dass es ca. 70% nur knapp schaffen? – Natürlich nicht.
Ausserdem muss man vor dem Hintergrund der Design-Noten auch schauen, welche Fächer/Fachgebiete gemeint sind, die bilden nämlich durchaus auch unterschiedliche Kulturen aus.