Designdidaktik

Ein Projekt zur Förderung und Forderung einer Fachdidaktik für die Lehre des Design.

Gedanken zur Designlehregraue Literatur

Revolution der Lehre im 21. Jahrhundert

new_modes_of_learningWährend manche in der Designszene noch darüber diskutieren, ob Designdidaktik nicht abzulehnen sei, da es den Lehrer an der freien Entfaltung hindert … Während die Kunsthochschulen die Realität des Bolognaprozesses noch nicht wahrnehmen wollen … Während der deutschen universitas magistrorum et scholarium die Berufsqualifizierungsorientierung des BA ein Grauss ist … Während in Deutschland die Umstellung auf BA und MA daher ohne inhaltlichen Diskurs in einer verschulten Effektivitätsspirale mündete … Während also Humbold von den Bildungsorganisatoren auf der Zunge statt im Herzen getragen wird … 

(Bildnachweis: Report to the European Commission on new modes of learning and teaching in higher education / European Commission)

Währenddessen also vollzieht sich die Revolution der Lehre und des Lernens des 21. Jahrhunderts von Deutschland nahezu unbeachtet.

Deutsche und amerikanische Sicht auf einem Symposium

Ich hatte im Dezember 2013 die Chance an einem Symposium des Zentrum für Studium und Lehre der Hochschule Heilbronn zum Thema “Didaktik 3.0. an Hochschulen” teilzunehmen. Hier die Dokumentation im Netz. Die Diskrepanz zwischen den Aufgaben und Themen in der Entwicklung der Didaktik, die die ausländischen Referenden und die, die die einheimischen Referenden sahen, war frappierend. Hier Hochschullehrer, die Erfolge beim projektbasierten Lernen zeigten – ooh bitte, das ist so 70er. Natürlich ist projektbasiertes Lernen wirkungsvoll. Die Unfähigkeit der deutschen Hochschulbürokraten diese im Design zentrale Organisationsform des Lernens im Bolognaprozess vernünftig abzubilden, ist ja genau deshalb so bitter, weil wir durch die BA-Einführung in Curriculumsvorstellungen aus der Zeit des Muffs von tausend Jahren unter den Talaren zurückgeworfen wurden. Auf der anderen Seite ein Pädagogin, Claude Lord von der American School of Paris, die mit Ihren Erfahrungen und Ansätzen in der Deutschen Provinz wie aus einem zukünftigen Jahrhundert wirkte. Ihr Vortrag lautete: Education 3.0: Flipping the learning From consumers to producers of knowledge

Bericht der Europäischen Kommission zur Modernisierung der Hochschulbildung

Die High Level Group on the Modernisation of Higher Education der EU hatte bereits im Oktober 2014 ihren Bericht zu dem Thema verfasst:

Report to the European Commission on new modes of learning and teaching in higher education / European Commission; Luxembourg: Publications Office of the European Union 2014; ISBN 978-92-79-39789-9
>> PDF im Internet

Zitat aus der Executive summary (S. 11):

There remains a culture of conservatism within European higher education which needs to change. This demands strong leadership and vision from both public authorities and institutional leaders. While a broad range of good practice is already emerging across Europe, this is happening to a large degree in an uncoordinated bottom-up approach. It is now time for governments and institutions to develop comprehensive strategies at both the national and institutional level for the adoption of new modes of learning and teaching within higher education. Governments need to decide on the mix of provision necessary across the system to meet the needs of all learners, and they must identify the support needed to deliver this. In particular, targeted financial incentives will be paramount in kick-starting initiatives. Dedicated centralised structures and supports within institutions can provide the engine for driving change and mainstreaming new approaches across the institution. Teaching staff are, of course, at the frontline of delivering these changes and they must be equipped with the skills and knowledge to allow them to fully utilise the range of new teaching tools available. Continuing professional development for teachers must become the norm across all European institutions.

Der Bericht offenbart jedoch für das Design eine schmerzende Lücke: stellt man sich die Frage, wie die Institutionen und die Lehrenden zusammenfinden um gemeinsam, konstruktiv und kompetent die kommenden Veränderungen zu meistern, so ist da ein Nichts in der Mitte. Wir über das Design Denkenden und Forschenden aus dem Design stellen doch bereits für die Ist-Situation die Unfähigkeit fest, gemeinschaftlich mit den Verwaltungen die Designlehre zu organisieren. Meistenteils wird diese Sprachlosigkeit auf das Unverständnis der Andren gegenüber der Disziplin Design in toto geschoben. Als ob es nicht seit über 60 Jahren staatliche Förderung des Designs gäbe und das Wort nun wirklich eine Inflation ohne Gleichen hinlegte. Nein, es ist auch unsere Sprachlosigkeit: 2013, kurz nach dem Start von designdidaktik.de bekamen wir eine Anfrage aus der Hochschulverwaltung der Universität Köln zum Thema Designlehre. Die dortige Verwaltung musste und wollte sich aus gegebenem Anlass im Thema fit machen und fand keine Informationen. Auch wir konnten damals nicht wirklich helfen. Wir brauchen eine institutionelle Plattform der Designdidaktik!
Siehe Institutionelle Vertretung der Designdidaktik durch Designvereine hier auf designdidaktik.de.

Revolution der Lehre und des Lernens des 21. Jahrhunderts

Nun bin ich kein Freund von Buzzwords, sondern von Inhalten. Die Inhalte kann man aber nicht ablehnen, nur weil sie in Amerikanismen gekleidet sind. Wir müssen wohl unsere Befindlichkeiten über Bord werfen und versuchen zu verstehen, was da aus den USA, anderen Ländern und der digitalen Welt wirklich Neues kommt. Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt haben in der ZEIT Nr. 39/2015, 24. September 2015 einen lesenswerten Artikel hierzu geschrieben: 

Humboldt gegen Orwell: Die Digitalisierung verändert die Bildung so stark wie zuvor nur der Buchdruck und die Schulpflicht.
>>Artikel auf ZeitOnline

Ein Zitat daraus: Bildung für alle über MOOCs, persönlich zugeschnittenes Lernen, Big Data für die Studienberatung und Computerspiele statt Zeugnissen bei der Jobbewerbung – das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was um uns herum die Welt revolutioniert.

Weder das Buzzword MOOC ist alleine seeligmachend, noch das neue SPOCS (siehe Lesetips “Massiv gescheitert: Spocs statt Moocs”), dennoch kann man den Artikel auch als Zusammenfassung von Aufgaben sehen, der sich die Didaktik und auch die Designdidaktik an Hochschulen zu stellen hat. Sicher wird es bereits Umsetzungen und Erfahrungen in DACH auch im Design geben … gerne würden wir über solche lesen und schreiben. Melden Sie sich.

Anbieter von Online Seminaren mit Inhalten im Bereich Design:
Weitere Lesetips zum Thema (mit Nachtrag vom 6.12.2015):
  • mooc13
    MOOCs: Massiv Open Online Courses – Infos, Links, Beispiele, Artikel
    kompetenter Blog von Claudia Bremer, Geschäftsführerin von studiumdigitale, der eLearning-Einrichtung der Goethe-Universität Frankfurt/Main, leider letzter Beitrag Ende 2014
  • 5. Selective glossary of terminology auf S. 58 (S. 31 der doppelseitigen PDF) in:
    Report to the European Commission on new modes of learning and teaching in higher education / European Commission; Luxembourg: Publications Office of the European Union 2014; ISBN 978-92-79-39789-9
    >> PDF im Internet
  • Angebot aus Cambridge: Elite-Uni auf der Couch.
    Ein Abschluss an einer renommierten Universität, ohne Vorlesungen vor Ort besucht zu haben? Das soll künftig möglich sein: Das MIT in Cambridge bietet in einem Pilotprojekt Zertifikate für Onlinekurse an.
    >> Artikel auf SPON
  • Online-Seminare an Unis: Tablets raus, Massenarbeit! Von Daniel Kastner
    Sie könnten die Hochschulbildung revolutionieren: Moocs, Online-Seminare für Tausende Studenten. Das deutsche Startup Iversity bietet solche Massenkurse an – und träumt vom digitalen Erasmus für alle.
    >> Artikel auf SPON
  • Massiv gescheitert Von  Christine Brinck
    Kostenlose Onlinekurse für Millionen – das galt einst als Zukunft der Universität. Doch die Abbrecherzahlen sind hoch. Nun machen ihnen Kurse für Kleingruppen Konkurrenz.
    >> Artikel auf ZeitOnline
  • Guter Unterricht mit digitalen Werkzeugen: Der #excitingEDU_Lehrerkongress 2015 am 03./04. Dezember in Berlin
    >> Internetseite des Projektes
    Digitales Lernen: Das Handy ist kein Spielzeug! Von Christian Füller
    Tablets und Apps gehören für sie selbstverständlich zur Schule dazu: In Berlin haben sich Lehrer getroffen, die Vorreiter im digitalen Unterrichten sind. Hier erzählen sie, mit welchen Gadgets und Methoden sie ihre Schüler begeistern.
    >> Artikel über den Kongress excitingEDU auf SPON

Philip Zerweck

Autor, Produktentwickler, Designlehrer und Designwissenschaftler

Ein Gedanke zu „Revolution der Lehre im 21. Jahrhundert

  • Guido Kühn

    Es ist mit dem Design in der Lehre wie mit dem hochbegabten Kind, welches ungeachtet seines Eingangsvorteiles am Ende durch die Klasse fällt. Das begabte Kind verfehlt das Klassenziel, weil es weiter als die Klasse startend die Notwendigkeit zur Beteiligung verliert und kurz darauf den Anschluss verliert. Das Design als Handlungspraxis rettet sich in Summe, weil es bislang das Verfehlen des Klassenzieles zum System erhoben hat. Designer erreichen halt im Gegensatz zum Kind Ziele, die sie selbst definieren oder zumindest den eigenen Möglichkeiten anpassen oder unterwerfen können. Design als akademischer Disziplin hingegen steht genau diese Haltung im Wege.

    Die Designlehre inkorporierte lange vor Didaktik 2.0 und dem aktuellen Stand Didaktik 3.0 auf Grund seiner Eigenständigkeit Methoden, die für andere Disziplinen sich erst nach herausbilden mussten. Die Lehre in vielen Disziplinen hat sich in Folge der Entdinglichung, Endspezialisierung und als Ergebnis durch einzelne/Gruppen einzelner nicht mehr alleine zu durchdringender Komplexionsgrade nach und nach zu dem entwickelt, womit es das Design als Disziplin des Entwurfshandelns schon immer zu tun hatte. Neues zu erfassen, mit bekanntem zu vernetzen, Potentiale zu erkennen und schärfen, Zukunft gestalten.

    Deswegen “boomen” von der Informatik über das Ingenieurwesen bis zur Finanzwirtschaft die Studienanteile die sich mit dem gestalten und entwerfen befassen. Designthinking, Kreativitätstechniken – für Designer mitunter müde belächeltes Pillepalle findet sich dort an prominenter und gefeierter Stelle wieder. In der freien Wirtschaft werden für aus Designersicht Fußgängerkurse exorbitante Kursgebühren aufgerufen, während der dies altklug belächelnde Designer sich freut wenn er oberhalb der “Visitenkarten und Menuezettelaufträge” schwimmt. Diese Kurse geben kann er aber indes nur selten. Wollen gleich gar nicht.

    Der Perspektivwechsel vom Lehrenden zum Lernenden ist zum Teil dem neuen Gedanken geschuldet, das Lehre als ein im Wettbewerb stehendes Produkt begriffen wird. Es ist aber auch dem Umstand geschuldet, dass die aktuellen Generationen bis hierhin als erste ihrer Art gleich zwei industrielle Revolutionen erleben durften. Das Erleben einer dritten noch in dieser Generation will niemand ernsthaft als abwegig darstellen, allenfalls als bis hierhin noch nicht konkret abzeichenbar. Wandel allenthalben.

    Daraus folgt zwingend, dass die komfortable Position der Lehre in früheren Generationen, der Vorteil der langen Standzeit von Wissen in den einem Großteil der akademischen Disziplinen oberhalb, nicht selten auch unterhalb der elementaren Grundlagen und methodischen Strukturen in der Lehrpraxis verpuffte. Man kann das morgen nicht mehr vorrangig in der Beschäftigung mit dem Gestern erfassen. Daher waren ein Großteil der Disziplinen gezwungen umzudenken. Das fiel ihnen nicht leicht und die Widerstände waren enorm. Heute jedoch haben nahezu alle ernsthaften Hochschulen didaktische Zentren und eine Vorstellung davon, wie Lehre zu entwickeln sei. Allein der Fachbegriff Didaktik 3.0 dürfte mehr Ingenieuren, Germanisten, Biologen und Mathematikern bekannt sein, als Designlehrenden.

    Das Design hat schon immer Zukunft gestaltet. Es ist der Kern ihrer Disziplin solches zu tun. Design hatte nie das Problem an eine Geschichte gebunden zu sein, und wenn nur um mit dieser gezielt brechen zu können. Und dies im disziplinübergreifenden Spagat von den Naturwissenschaftlichen über die geisteswissenschaftlichen bis hin zu den künstlerischen Anteilen ihrer Disziplin. Design ruht halt auf diesen drei Säulen, ist ein steter Wanderer zwischen diesen Welten, ein Wanderer der stets das morgen nützliche, die Rekombination des als bis hierhin gut erkannten und die bewusste Abgrenzung vom Althergebrachten und sei es in Nuancen sucht. Sich also schon immer mit genau dem Fragenkomplex beschäftigt, der heute alle in emergierenden, hochvolatilen Märkten und Technologien Kämpfende beschäftigt. Welch ein Startvorteil für eine Disziplin! Was für eine Pole-Position! Allein: das Fahrerfeld der Disziplinen ist schon in der Runde Didaktik 3.0, während der Champion Design noch auf der mittlerweile historisch anmutenden Pole-Position in der lehrerzentrierten Klassendenke vor sich hinträumt. Sich mit ausgemachtem Blödsinn wie der Frage ob es Sinn mache Hilfsdisziplin anderer zu werden beschäftigt. ja, macht es, vorausgesetzt wir sprechen von Wissenschaft.

    Die Designer schliefen also den Schlaf der hochbegabten Kinder im Unterricht und haben nun das Problem in Zugang und Methode. Nicht sie haben die Eckpunkte der Entwurfsdisziplin vorangetrieben. Zu bekannt, zu nahe, zu “ist doch selbstverständlich”. Also kamen die Impulse und die Methodik aus den Sozial- Geistes und neuerdings in Breite auch Naturwissenschaften. Die vorherrschende Selbstreduktion des Design in den letzen Dekaden auf primär künstlerische Positionen tat ihr übriges. Sie machte aus dem Schlaf des Hochbegabten, die abgeschlossene Borniertheit des altklugen Faulpelzes, gerne auch als unangreifbaren wissenschaftlichen Impetus verbrämt. Wobei als Wissenschaftlichkeit im Design die Behauptung eben dieser oft genug völlig ausreicht. Design ist was ein Designer macht und folglich ist wissenschaftlich, was ein Professor macht. Für die Designlehrenden reicht dies allzugerne für den Kurzschluss Designwissenschaft ist was Designprofessoren so machen. Naja, alles halt ausser ernsthaft zu publizieren, sich an Methoden und Modellen abarbeiten. Selbst die DGTF, die Defacto-Fachstandsvertretung der Designlehrenden schafft es nicht einmal die Paper ihrer ohnehin oft krude zusammengetackerten Symposien zu veröffentlichen. Was ist das für eine Vorstellung von Wissenschaft?

    Ernsthafte Designwissenschaft ereignet sich in Deutschland allenthalben ausserhab des Designs. Ernsthafte Designwissenschaftler kommen in Deutschland sehr selten primär aus dem Design, gar nur aus dem Design. In Summe finden wir akademische Doppel- und Dreifachbegabte, die manchmal auch was mit Design studierten. Ihre methodische Befähigung und damit Sicht und Denkweise dessen, was und wie Design zu denken sei entlehnen sie in Summe aber ihren Heimatdisziplinen.

    Für eine Disziplin, die Offenheit, Neugierde und beständige Entwicklung als intrinsisches Mantra ist dies natürlich der komatöse Büroschlaf der Selbstgerechten. Deswegen gehen heute junge Designer in Designthinkingkurse von Spezialisten die in der Kunstgeschichte, den Sozial- oder Wirtschaftswissenschaften sozialisiert wurden. Diesen Designern fehlt es angefangen mit der Fachsprache, einer Fachmethodik oder gar eines ernsthaften Fachdiskurses an jeglichem Instrumentarium diese für sie eigentlich elementaren Anteile ihrer eigenen Disziplin voranzutreiben, geschweigedenn aus ihrer ehedem vorteilhaften Startposition eine bestimmende Rolle in diesem Diskurs einzunehmen. Und jetzt lernen sie ihr Fach auch noch von Fachfremden aus deren Blickwinkel, nicht dem originären des Design.

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