“Design-Studium: Was Gestalter lernen müssen” – Verkaufe statt Sonntagsrede?
Wieder ein Artikel der ratlos macht:
“Design-Studium:
Was Gestalter lernen müssen”
Interview mit Susanne Schade von Nina Kirst, erschienen am 25.01.2016 auf PAGE online.
Endlich mal keine Sonntagsrede dachte ich mir, denn der Artikel versprach:
Wir sprachen mit Prof. Dr. Susanne Schade von der HfG Schwäbisch Gmünd über die künftige Rolle von Gestaltern und wie diese sich in der Ausbildung niederschlägt.
Kompetenzen, Anforderungen, Persönlichkeitsmerkmale, Lerninhalte?
Alles Skills!
Ich erwartete also eine Auseinandersetzung mit dem Berufsbild von Designern (Anforderungen), den verlangten Kompetenzen und schließlich den Lehr-/Lerninhalten, die diese Kompetenzen formen. Tatsächlich ging es der Studiengangsleiterin für den neuen Master Strategische Gestaltung an der HfG Schwäbisch Gmünd dann aber doch nur darum, das neue Studienprogramm und die eigene Hochschule zu verkaufen. Inhaltlich, oder zum Thema “Was Gestalter lernen müssen” ist nichts Neues dabei: die Anglizismen beinhalten doch nur den alten Wein. Größtenteils nicht falsch, aber eben nicht neu. Muss es auch nicht. Nur frage ich mich dann, wo die Antworten bleiben, denn die Buzzwords beinhalten keine Kompetenzen, schon gar keine Lehr-/Lerninhalte, sondern Anforderungen. Beispiel:
Laut Susanne Schade (…) wird die Rolle des Designers zunehmend die eines Mediators zwischen unterschiedlichen Disziplinen und Stakeholdern sein. Hochschulen sollten daher ein Klima fördern, in dem Studierende ein individuelles berufliches Persönlichkeitsprofil ausbilden können. (…)
Wer heute in der Designbranche in leitender Position arbeiten oder als selbstständiger Gestalter bestehen will, muss Praktiker und Stratege in einem sein. Design versteht sich hier als Gestaltung, die neben dem finanziellen Erfolg auch einen gesellschaftlichen Fortschritt hin zu einer verbesserten Lebenssituation der Menschen verfolgt. Also als strategische Gestaltung, die Einfluss nimmt auf gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen der Zukunft.
Immerhin die beiden Kompetenzen des Praktiker und des Strategen werden benannt. Was der Designer damit alles sein soll, ausfüllen soll? Die Rolle des Mediators, des finanziell Erfolgreichen, des Lebensverbesserers, des Gesellschaftsentwicklers und Zukunftsmeisterers. Kann das ein Berufsbild überhaupt, ohne den Eindruck von heisser Luft zu hinterlassen?
Am konkretesten wird es hier:
Neben den gestalterischen Tools wird heute zunehmend vernetztes Denken in andere Disziplinen hinein, Bewältigung komplexer Aufgaben und Prozesse sowie Eigenständigkeit als handelnde Person erwartet. (…)
Zudem braucht es immer häufiger Kenntnisse aus dem Designmanagement sowie zu ökonomischen Randbedingungen, wie in den Gebieten User Experience, Visual Thinking, Teambuilding, Business Design und Fundraising. Schnittstellenkompetenz und Dialogfähigkeit gehören genauso zu den Skills als Gestalter, wie die Beherrschung des Gestaltungsprozesses.
Leider auch hier: was soll eine Kompetenz “Visual Thinking” sein? Kann man das lernen, lehren, gibt es Bücher, Unterlagen, wissenschaftliche Fundamente, Methoden und deren Vermittlung? Was muss ein Designer lernen, um “Visual Thinking” zu können? Ist “Teambuilding” auf der gleichen Komplexitätsebene anzusiedeln, wie “User Experience”? Gehört Schnittstellenkompetenz zu den Softskills, die jeder im Bereich Strategische Gestaltung benötigt, oder ist das eines der Dinge, die man sich im persönlichen Kompetenzprofil aussuchen kann? Wie wird Schnittstellenkompetenz und Dialogfähigkeit vermittelt? Ist Schnittstellenkompetenz ein integraler Bestandteil des vernetzten Denkens? Ein bunter Strauss an unqualifiziert gegeneinander gestellter Kompetenzen, Anforderungen, Persönlichkeitsmerkmalen und Lerninhalten. Aber klar, kann man alles als Skills betiteln. Persönlich muss ich bei solchen Formulierungen an die Sokal-Debatte denken.
Annahmen über das Berufsfeld
Auf die Frage wie die HfG Schwäbisch Gmünd die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts eruieren würde, erfährt man Schwammiges in Form von “viele Kontakte und wir reden drüber”. Es ist sicher nicht verkehrt mit Menschen aus der Praxis persönlichen Kontakt zu halten, das war im Design immer so: es gibt sicher nicht nur einen Professor, auch in Schwäbisch Gmünd, der ein eigenes, mittelgroßes Designbüro neben der Professur betreibt. Alle Entwurfsprofessuren werden aus der Praxis heraus berufen. Bei der Frage nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes hätte ich daher doch ein strukturierteres Vorgehen erwartet, wie z. B. die Analyse von Stellenausschreibungen, oder Zusammenarbeit mit Arbeitsmarktforschern. Auch eine Reflexion, welchen Arbeitsmarkt eine Hochschule sich denn in der eigenen Disziplin wünscht, denn schließlich sind die Hochschulen ja für die Weiterentwicklung der Disziplin verantwortlich, wäre interessant. Statt dessen Behauptungen, wie:
Das Berufsfeld des Designers hat sich in den vergangenen Jahren massiv gewandelt: Designer entwerfen heute zunehmend Prozesse. Seien es Steuerungsaufgaben in Unternehmen, nachhaltige Dienstleistungen oder komplexe, transmediale Kommunikationswerkzeuge. (…)
Daher wünschen die Studierenden des Masterstudiengangs weniger die Spezialisierung in einer bestimmten Disziplin, sondern mehr eine Ausbildung zu Gestalterinnen und Gestaltern, die übergeordnet und interdisziplinär arbeiten und als Vermittler und Kommunikatoren auftreten können.
So ist das aus vielerlei Hinsicht schlicht falsch. Designer im ursprünglichen, angelsächsischen Begriff haben schon immer Prozesse (mit-)entworfen. Kein Architekt und Planer, der nicht das Leben mit in seine Entwürfe einschreibt. Georges-Eugène Haussmann hat keine Striche auf das Papier gezogen, sondern das System Paris für Jahrhunderte gestaltet. Kein Designer, der nicht das Produzieren, Vertreiben, Gebrauchen und somit die dadurch gewebten Systeme und Prozesse mit bedenkt. So war das im Industrial Design schon immer Anspruch. Ebenso in der Visuellen Gestaltung aka Graphic Design. Wer erinnert sich? Form follows Funktion? Die Gestaltung folgt dem Zweck? Der Designer beantwortete schon immer mit seinen Entwürfen auch die Frage des Zwecks und in einem zeitbasierten Narrativ ist das der Prozess. Michael Thonet und der Wiener Kaffeehaus-Stuhl, warum ist er zerlegbar?: 1. Semester Designgeschichte bzw. Industriekultur.
Die Interpretation von Design = Styling, die seit den 90ern auch die eigene Disziplin ergriff,
plus Konzentration auf den Autoren-/Künstlerdesigner als in den letzten Jahren gültiger Topos für eine ganze Branche, ja schlicht die Übernahme eines boulevardisierten Designbegriffs durch eigene Fachleute,
plus Verwechslung von Berufseinstiegslevel und Berufsanspruch,
plus die unreflektierte Übernahme des anglizistischen Begriffsgebrauchs für “Design” im Zuge der letzten Globalisierung des Arbeitsmarktes,
macht das Gebräu so ungenießbar. Wer glaubt denn, das ein Ingenieur oder Betriebswirt frisch von der Hochschule weg (egal ob Uni-, FH-Diplom, BA oder MA) gleich mit Steuerungs-, Management- oder Umstrukturierungsaufgaben betraut wird? Welcher Junior-Designer als Trainee in einem eignergeführten Designbüro erhält die Aufgabe Mediator der Stakeholder im Auftrag eines Kunden zu sein?
Ja, Designer müssen endlich (wider) ausgebildet werden, in diese Funktionen hineinwachsen zu können. Ja, Designer müssen – von Beginn der Ausbildung an – sich (wider) als Teil einer größeren Unternehmung verstehen, zu der sie in Interaktion mit den anderen Disziplinen einen spezifischen Beitrag leisten. Ja, dafür müssen sie auch etwas von den anderen Disziplinen verstehen. Und ja, wir haben zu wenig Designer im angelsächsischen Wortsinn im Management und auf Entscheidungsebenen, bzw. die dortigen Personen sind zu wenig Gestalter. Und ja, die Idee einen Masterstudiengang “Strategische Gestaltung” einzurichten ist sicher gut.
Aber warum akzeptiert man nicht, wie z. B. bei einem ähnlichen Masterprogramm an der Glasgow School of Art, daß nicht nur klassische Designer, sondern ebenso Ingenieure, Architekten / Planer und Geisteswissenschaftler (Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler) sowie Verwaltungsleute solche Art Design lernen können? Oder meint man dann doch, dass nur bildgebend Ausgebildete die visionäre Kraft haben, Firmen, Organisationen und Verwaltungen zu gestalten?
So bleibe ich ratlos zurück, ob des Titels “Was Gestalter lernen müssen”. Und ebenso was seine Rolle sein soll. Dafür weiss ich nun, dass es einen Studiengang gibt, der nach 6 Semestern klar abgegrenzter BA-Programme die Studierenden zusammenführen will, weil die »klassische« Trennung zwischen Produkt-, Kommunikations- und Interaktionsgestaltung im Berufsleben mehr und mehr verschwimmt. So die Studiengangsleiterin. Warum, frage ich mich dann, hat die gleiche Hochschule grade einen weiteren BA-Studiengang namens “Internet of Things – Design of connected systems” aufgemacht? Und ich weiss, dass der Studiengang nirgends anecken will, denn Auch im Hauptstudium wird im Lehrangebot auf eine Ausgewogenheit zwischen praxisnahen und freien Projekten [Wert] gelegt. Im Master Strategische Gestaltung können sich die Studierenden (…) selbst Schwerpunkte setzen und entscheiden, ob sie sich sehr anwendungs- und praxisnah oder mehr theoretisch und forschungslastig vertiefen möchten.
Am Ende noch etwas versöhnliches: wir alle die in Hochschulen arbeiten, wissen um die unsäglichen Rahmenbedingungen und Vorgaben der Länder unter denen Ausbildung organisiert werden soll, Planstellen geschaffen werden müssen. Dies führt dazu, dass wider besseren Wissens eine gemeinsame Grundlehre oder gar ein allgemeines Design BA-Studium mit studierendenzentrierter Schwerpunktsetzung als nicht machbar wahrgenommen wird. Und unabhängig der Frage, wie wir junge Menschen zu Organisationsveränderern ausbilden wollen, wenn wir es selber nicht schaffen vorzuleben. Aber bitte, lasst uns doch in der gemeinsamen Diskussion nicht unseren eigenen Marketingsprüchen glauben. Oder ist ein Beitrag bei der PAGE – schließlich das führende Medium in der Branche – kein Debattenbeitrag, sondern nur eine Werbemaßnahme? Dann bitte, wo führen wir die Debatte?
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