Designdidaktik

Ein Projekt zur Förderung und Forderung einer Fachdidaktik für die Lehre des Design.

Gedanken zur DesignlehreLiteratur

Sten Nadolny „Das Erzählen und die guten Ideen“ – Mit Siebenmeilenstiefeln von Nadolnys Vorlesungen in Buchform zur didaktischen Lehrform und zurück

Nadolny, Sten
„Das Erzählen und die guten Ideen / Die Göttinger und Münchner Poetik–Vorlesungen“
Piper Verlag GmbH, München, 2001
ISBN 3–492–23433–X

Vorlesungen? Der Sozialphilosoph Max Horkheimer bezeichnete diese Lehrform einmal als „mißglückte Säkularisierung der Predigt“1 – aber wenn aus Vorlesungen unverkrampfte Bücher wie das Nadolnys entstehen, lässt mich dies trübe Pauschalurteile überdenken. Zunächst also ein paar kurze Überlegungen zur Vorlesung als didaktisches Lehrformat.

Die Vorlesung wird oft als Paradebeispiel für schlechte und antiquierte Lehre angeführt: es herrsche eine einseitige Kommunikationssituation und darstellende Unterrichtsverfahren führten zu „trägem Wissen“, das sich nicht auf Anwendungssituationen übertragen lasse. Ebenso würden die im Design stets geforderten „Problemlösungskompetenzen“ durch diese Art der Inhaltsvermittlung nicht gefördert. Das mag alles stimmen und auch ich favorisiere als Dozentin persönlichere Lehr– und Lernformen, welche die Studierenden intensiver einbinden und fordern. Es gibt jedoch Situationen, in denen die Vorlesung ihre Vorzüge zur Geltung bringt. So lassen sich mit ihr gut Überblicke und Einführungen in zu bearbeitende Themenfelder vermitteln, etwa zum gegenwärtigen Forschungsstand, zu technologischen Aspekten oder zum Stand aktueller Diskurse und deren Positionen. Die Vorlesung bietet die Möglichkeit kompakt viele Menschen anzusprechen, zu informieren und zu motivieren – ich berichtete in einem anderen Artikel von den hochgeschätzten Vorlesungen des Lucius Burckhardt.

Im Zusammenspiel mit Medien wie Film und Fernsehen, dem Radio und dem Internet spielen Vorlesungen überdies eine zunehmend interessantere Rolle: Sie lassen sich gut aufzeichnen, in verschiedenen Formaten redaktionell aufbereiten und durch Zusatzmaterial wie Texte, Bilder, Animationen sowie Foren ergänzen. Auf diese Weise ist ein Angebot möglich, das zeit – und ortsunabhängig abgerufen werden kann und – im Unterschied zur Vorlesung in ihrer ursprünglichen Form – ein nicht–lineares Rezipieren der Inhalte ermöglicht. Eine bekannte Variante sind die sogenannten MOOCs (Massive Open Online Courses), die bereits von renommierten Universitäten angeboten werden. Je nach Ausprägung können MOOCs den Charakter einer Vorlesung haben oder im Sinne des Connectivism eher einem Workshop ähneln. Die Kritikpunkte an den MOOCs ähneln denen, mit denen sich auch die Vorlesung als solches konfrontiert sieht. Ferner müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, als Vorwand für Personaleinsparung im Bereich der Dozenten zu dienen. Dennoch: Denkt man heutzutage über Vorlesungen nach, kommt man nicht umhin auch Aspekte der open education und der distant education in seine Überlegungen miteinzubeziehen. Sofern man willens ist, kann man die technologischen Möglichkeiten nutzen, um Hochschulbildung einem wesentlich breiteren Publikum als dem klassischen Vollzeit–vorort–Studierenden zu öffnen, beispielsweise Berufstätigen, Inhaftierten etc.. Weitere Informationen hierzu finden Sie in dem Artikel von Prof. Dr. Michael Kerres und Dr. Annabell Preußler: „Zum didaktischen Potenzial der Vorlesung: Auslaufmodell oder Zukunftsformat?“

Zurück zu Sten Nadolny. Sein 2001 erschienenes Buch „Das Erzählen und die guten Ideen“ beinhaltet zwei Poetik–Vorlesungen, die er im Jahr 2000 in Göttingen und im Jahr 1999 in München hielt sowie drei weitere „Reden übers Schreiben“. Der Titel des Buches ist gleichzeitig der Titel der Göttinger Vorlesungen, auf die sich diese Beitrag bezieht.

Wie erwartet handelt es sich bei diesem Buch nicht um einen Ratgeber, auch wenn der Autor in einer Parenthese behauptet, jeder Erzähler träume „von Ratgebern, überhaupt vom leichter verdienten Geld“. Vielmehr ist es ein erzählerisches Flanieren durch die unterschiedlichen Aspekte und Perspektiven rund um die Titelbegriffe. „Idee, das ist ein Bild von einer Sache, einem Zusammenhang, einer Möglichkeit des Handelns oder Schreibens.“ So umreißt Sten Nadolny etwa den Begriff der Idee und verweist zudem auf inhaltlich ähnliche Ausdrücke wie die Regung, den Einfall, die Eingebung, die Erkenntnis, das Muster oder gar den Wahn, welche jedoch alle keine genauen Synonyme seien. Nadolny berichtet ferner von den Klingt–gut–Ideen, die lediglich eine grobe Richtung vorgeben und die sich „das Bedürfnis nach Geschichten zunutze machen wollen, ohne auch nur danach zu fragen, wie das Erzählen bei diesem oder jenem bestimmten Stoff zu Werke gehen muß“. Wirklich gute Ideen hingegen, bezeichnet er als Erzählchancen … Die Kapitel des Buches entsprechen den einzelnen Vorlesungsabenden und lauten für die Göttinger Vorlesungen: „Ideen über Ideen“, „Erzählen und Erfahrung“ und „Über den Erzählfluß“.

Warum ich nun ein Buch aus einer fremden Disziplin für Designer empfehle, wo es doch zahllose Designbücher gibt? Etwas zu entwerfen und etwas zu erzählen sind einander nicht unähnlich. Man benötigt in beiden Fällen einen Ausgangspunkt, eine Idee. Ebenso ist die Notwendigkeit, sich als Schriftsteller in seine Figuren hineinzudenken, nicht unähnlich dem, was Designer tun, wenn sie mit Szenarientechniken arbeiten. Aber der wichtigste Aspekt daran, über den vielzitierten Tellerrand zu blicken, ist folgender: Haben zwei Disziplinen eine gewisse Ähnlichkeit, so schärft das aktive Vergleichen die Wahrnehmung des eigenen Metiers. Wenn also Nadolny sich beispielsweise über den Erzählmarkt und die mögliche Fremdbestimmung des Autors durch ebendiesen äußert, so liegen Parallen zum Designmarkt nahe. Wenn Nadolny schreibt, dem Leser würde unentwegt erzählt, er wolle vor allem entspannt und unterhalten werden, fragt man sich, wer wohl aus welchen Gründen die Kunden manipuliert. Wenn Nadolny weiterhin berichtet, dass Verkaufsprofis den Leser als „diktatorischen Säugling“ betrachten, kommt man nicht umhin sich zu fragen, inwiefern wir Designer uns dem Kunden anbiedern oder aber versuchen, mit überzeugenden Lösungen seine Verhaltensmuster zu ändern. Natürlich kann man solche Fragen auch aus der eigenen Disziplin heraus formulieren und beantworten. Aber aus didaktischer Sicht kann der Umweg über eine fremde Disziplin – sprich: ein Perspektivwechsel – nachhaltiger wirken.

[1] Horkheimer, Max
„Zum Problem des akademischen Unterrichts“ (Vortrag)
In: Westdeutsche Rektorenkonferenz (Hrsg.) „Hochschulautonomie, Privileg und Verpflichtung: Reden vor der Westdeutschen Rektorenkonferenz. 40 Jahre Westdeutsche Rektorenkonferenz 1949–1989“, S.19–30, August Lax Verlag, Hildesheim, 1989

Heike Raap

Heike Raap ist praktizierende Designerin und Dozentin. Sie studierte Produktdesign und Visuelle Kommunikation an der Universität Kassel. Dort forschte sie zudem von 1999 bis 2003 als künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin im Schwerpunkt Industriedesign. Heike Raap lehrt und lehrte an verschiedenen Hochschulen und Bildungsinstitutionen: Universität Kassel, University of Lapland (FIN), TU Dresden, Universität Vechta, Fachhochschule Schwäbisch Hall, Hochschule Heilbronn, SRH Hochschule Heidelberg, Stiftung Deutsches Design Museum u.a..

Schreibe einen Kommentar