Designdidaktik

Ein Projekt zur Förderung und Forderung einer Fachdidaktik für die Lehre des Design.

Literatur

Soziale Herkunft zählt für Professoren im Bereich Kunst, Musik

Durch ein Interview von Rudolf Stumberger / Telepolis mit der Autorin Christina Möller unter dem Titel „Handverlesene Professuren“ bin ich auf deren Studie Herkunft zählt (fast) immer: Soziale Ungleichheiten unter Universitätsprofessorinnen und -professoren“ und ihren Artikel „Als Arbeiterkind zur Professur? Wissenschaftliche Karrieren und soziale Herkunft“ gestossen (wortgleich auf academics.de erschienen). Stimmen die Ergebnisse der Studie im Schnitt bereits pessimistisch (im Sinne einer Leistungsgerechtigkeit), so sind die Zahlen für die Fächergruppe „Kunst, Musik“ in der Design enthalten ist noch betrüblicher.

Die Studie fasste bei der Umfrage mit 1340 antwortenden Professorinnen und Professoren aus Nordrhein-Westfalen diese zu Fächergruppen zusammen. Die Fächergruppe „Kunst, Musik“ bestand dabei aus: allgem. Kunst u. Kunstwissenschaft, Bildende Kunst, Gestaltung, Darstellende Kunst: Film und Fernsehen, Theaterwissenschaft, Musik, Musikwissenschaft. Weitere Fächergruppen bei der Auswertung waren: Sprach- und Kulturwissenschaften; Sport; Wirtschaftswissenschaften; Humanmedizin / Gesundheitswissenschaften; Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften; Psychologie, Erziehungswissenschaft, Sonderpädagogik; Rechtswissenschaft, Jura; Sozial- und Politikwissenschaften; Veterinärmedizin (bei der Auswertung nicht mehr aufgeführt); Ingenieurwissenschaften; Mathematik und Naturwissenschaften.

20 % der Antwortenden waren weiblich und 6% hatten eine ausländische Staatsangehörigkeit.

Soziale Herkunft der Professoren zählt (fast) immer

Christina Möller benutzt für die soziale Herkunft das Konzept des Studentenwerkes, so das für Vergleiche Zahlen zu Studierenden bis zurück zu den 50er Jahren herangezogen werden konnten. Die sozialen Herkunftsgruppen werden in  „niedrig“, „mittel“, „gehoben“ und „hoch“ unterschieden.

Über alle Fächergruppen hinweg zeigt die Analyse, das nur 11% aus der niedrigen, 27% aus der mittleren, aber ebenfalls 27% aus der gehobenen Gruppe und gar 34% aus der obersten Gruppe stammen. Dieses Maß für die soziale Geschlossenheit ist bei den Professorinnen signifikant stärker: nur 7% stammen aus der niedrigen Gruppe, aber 37% aus der hohen Gruppe. Auch bei Juniorprofessoren ist die Ungleichheit noch höher: 7% stammen aus der niedrigen und mittleren, 25% aus der gehobenen und 62% aus der hohen Herkunftsgruppe. Die Verfasserin nennt dies eine „extreme soziale Geschlossenheit“.

Vergegenwärtigen muss man sich eben diese Zahlen im Vergleich sowohl zu den Zahlen für die Gesamtbevölkerung, als auch für die (erfolgreich) Studierenden.

Trend zur sozialen Schließung

Die Bildungsexpansion ab den 70ern erzeugte unter den Studierenden eine deutliche soziale Öffnung. 1985 stammten 18% aus der niedrigen und lediglich 25% aus der hohen Herkunftsgruppe. Diese soziale Öffnung spiegelt sich nicht in der Professur, hier ist der Trend umgekehrt. Die 2001 bis 2010 berufenen Professorinnen und Professoren (jüngste untersuchte Kohorte, entspricht den Studienanfängern um bzw. nach 1985) stammten nur zu 10% aus der niedrigen aber zu 38% aus der höchsten Kategorie, verglichen mit 11% und 34% über alle (siehe oben).

Christina Möller schreibt weiter: „Begleitet wird die soziale Schließung zudem durch eine Halbierung der eh schon seltenen Personen mit einem zweiten Bildungsweg (von rund sieben auf rund vier Prozent in der jüngsten Berufungskohorte), sodass die universitäre Karriere mittlerweile fast ausschließlich über einen geraden Bildungsweg erreicht wird und ungerade Bildungs- und Berufsbiografien, z.B. über frühe Berufsausbildungen und einen späteren Eintritt in die Hochschule, verschwindend gering vorkommen.“

Auch am Abgleich mit der Gesamtbevölkerung ist ein negativer Trend zu sehen. Hier wird die Bildungen der Väter verglichen, da das Konzept der Herkunftsgruppen nicht greift. Die Anteile jener Professorinnen und Professoren, die einen akademisch gebildeten Vater haben (d.h. mit Hochschulabschluss), hat in den letzten Geburtskohorten drastisch zugenommen. Die Jüngsten (1975 bis 1984) haben zu rund 60% einen akademischen Vater, während im Vergleichsjahr 1990 unter den Erwerbstätigen lediglich 12% akademisch gebildet waren. Hier zeigt sich ebenfalls der Trend zur sozialen Geschlossenheit der Professorenschaft, da zwar auch die Akademikeranteile unter den Erwerbstätigen in der BRD im Zeitverlauf angestiegen sind, jedoch deutlich moderater als unter den Professorinnen und Professoren.

Die Autorin meint daher: „Die soziale Herkunft hat in der wissenschaftlichen Karriere an Bedeutung zugenommen.“

Die Studie bietet weiter auch Zahlen zu den Müttern und zu ausländischen Herkünften. Des weiteren schreibt sie zu der Übertragbarkeit der Studie auf andere Bundesländer: „Insgesamt ist anzunehmen, dass die Befunde aus NRW nicht eins zu eins auf andere Bundesländer übertragbar sind, da regionale und politische Besonderheiten die soziale Struktur der Professorenschaft beeinflussen. Vielmehr ist zu vermuten, dass die Professorenschaft in NRW eine größere soziale Durchlässigkeit aufweist, die sich aus der hohen Dichte an im Zuge der Bildungsexpansion neu geschaffenen (Reform-)Universitäten erklärt.“

Soziale Herkunft zählt im Bereich Kunst, Musik (nahezu) immer

Geht man nun in die einzelnen Fächergruppen, so gibt es hier eine deutliche Streuung: mit 79% zu 21% (oberen beiden Herkunftsgruppen zu unteren beiden) ist „Rechtswissenschaft, Jura“ die sozial geschlossenste Gruppe, bei „Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften“ dreht sich das Verhältnis deutlich zur Offenheit mit 40 / 60.

Die Fächergruppe „Kunst, Musik“ ist in der Rangfolge an Position vier, d.h. die nach Jura, Medizin und Sport die sozial geschlossenste Professorenschaft. 66% kommen aus der gehobenen und oberen Herkunftsgruppe und nur 34% aus der mittleren und unteren. Kann man sich diese Ungleichheit bei Jura und Medizin noch erklären, so ist dies bei Kunst und Musik doch entgegen des eigenen Selbstverständnis. Wirken z. B. bei Jura und Medizin sowohl Numerus Clausus, und unbedingter Promotionszwang als soziale Bremse, so können in den künstlerischen Fächern immer schon Menschen ohne Hochschulzugangsberechtigung studieren, Promotionen sind eher die Ausnahme und wichtigstes Kriterium der Berufung galt eigentlich die berufliche Könnerschaft.

Zusammen mit den ersten Zwischenergebnissen unseren eigenen Umfrage zur Berufungspraxis von Designprofessoren zeichnet sich ein ungutes Bild: anscheinend ist die persönliche Wirkung, vulgo Stallgeruch ausschlaggebender als wir uns eingestehen.

Herkunft zählt (fast) immer: Soziale Ungleichheiten unter Universitätsprofessorinnen und -professoren; Christina Möller; Beltz 2015; ISBN 978-3-7799-1592-8 >>

 

Philip Zerweck

Autor, Produktentwickler, Designlehrer und Designwissenschaftler

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